Der Wismarer Schienenbus vom Typ Hannover

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Christian
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Der Wismarer Schienenbus vom Typ Hannover

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Im Jahre 1999 hatte ich eine Ausstellung ausgearbeitet, die in gekürzter Form noch länger im Asendorfer Lokschuppen zu sehen war. Jetzt möchte ich Euch die ungekürzte Austellung im Forum zugänglich machen:


Der Wismarer Schienenbus vom Typ Hannover

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Vorgeschichte

Nachdem um die Jahrhundertwende der Bau von Kleinbahnen geradezu boomte und diese Bahnen bis 1914 steigende Fahrgastzahlen und Frachtraten verzeichnen konnten, sah dies in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg ganz anders aus: Gegen Ende der zwanziger Jahre spitzte sich die Weltwirtschaftskrise zu, und viele Kleinbahnen mußten um ihr Überleben kämpfen.
Nur wenige Zugpaare bestimmten das Bild vieler Kleinbahnfahrpläne. Die Züge wurden wegen des geringen Verkehrsaufkommens meistens als gemischte Personen- und Güterzüge gefahren, so daß durch das häufige Rangieren auf den Unterwegsstationen lange Fahrzeiten entstanden. Aufgrund des relativ großen Personalaufwandes waren die Betriebskosten recht hoch. Pro Zug waren drei bis vier Eisenbahner erforderlich: ein Lokführer, ein Heizer, ein Zugführer und gegebenenfalls auch noch ein Schaffner.

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Güterzug mit Personenbeförderung (GmP) auf der Kleinbahn Oberschefflenz - Billigheim
Am 30.09.1961 hält der GmP in Unterschefflenz, um Stückgut auszuladen. Dazu muß der ganze Zug einschließlich der Personenwagen an die Rampe zum Güterschuppen rangiert werden. Während das Zugpersonal mit den Verladearbeiten beschäftigt ist, müssen die Fahrgäste abseits vom Bahnsteig auf die Weiterfahrt warten.

Aufnahme: WOLFGANG KÖLSCH


Auf der Eisenbahnausstellung im Jahre 1924 in Seddin wurden erstmals brauchbare motorgetriebene Triebwagen der Öffentlichkeit vorgestellt, die für einige Kleinbahnen eine Alternative zum aufwendigen lokomotivbespannten Personenverkehr boten. Hiermit konnte der Betrieb wesentlich günstiger gestaltet werden, da die lange Vor- und Nachbereitungszeit der Dampflok entfiel, kein Heizer bezahlt und nur ein Fahrzeug unterhalten werden mußte. Lediglich der Triebfahrzeugführer und ein Schaffner waren noch notwendig.
Noch wesentlicher war die Attraktivitätssteigerung des Personenverkehrs. Spätestens jetzt - mit der Einführung des Triebwagenverkehrs - konnte der Personenverkehr vom Güterverkehr getrennt werden, was erhebliche Fahrzeitverkürzungen zur Folge hatte. Zudem fuhren die Triebwagen meistens schneller als die Dampfzüge und waren komfortabler und zeitgemäßer ausgestattet. Ein Fahrzeug dieser frühen Jahre des Triebwagenbaus kann man in unserer Fahrzeughalle besichtigen. Den derzeit noch nicht restaurierten T 43 aus dem Jahre 1925.

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Die Rendsburger Kreisbahn führte bereits 1925 den Triebwagenverkehr auf ihren Strecken ein. Der fabrikneue T 1 zeigt sich im Jahre 1925 vor dem Bahnhofsgebäude von Rendsburg. Durch die Trennung des Personenverkehrs vom Güterverkehr und die Erhöhung der Fahrgeschwindigkeit von 30 auf 40 km/h konnte eine umfangreiche Verbesserung des Angebotes erreicht werden.

Aufnahme: ARCHIV KLEINBAHNMUSEUM BRUCHHAUSEN-VILSEN


Einen Nachteil hatten die Triebwagen jedoch: Sie waren für viele Bahnen zu teuer. Das oftmals eher geringe Fahrgastaufkommen reichte nicht aus, um die Anschaffungskosten eines Triebwagens zu erwirtschaften. Somit blieben viele Kleinbahnen beim aufwendigen Dampflokbetrieb.
Diese Situation und das dadurch drohende Aus für viele Kleinbahnen vor allem im norddeutschen Raum, führte in den zwanziger Jahren zum Anschluß vieler Bahnen an das 1904 gegründete Landeskleinbahnamt in Hannover. Es war Aufgabe dieser Institution, einen kostengünstigen Betrieb auf den Kleinbahnen in der Preußischen Provinz Hannover zu erwirken. Man erhoffte sich vor allem durch eine zentrale Verwaltung und einen zentralen Einkauf eine erhebliche Kostenersparnis bei den angeschlossenen Bahnen. Diese Vorgehensweise bewährte sich durchaus, wenn auch in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg durch den steigenden Individualverkehr das "Kleinbahnsterben" nicht mehr aufzuhalten war. Das Landeskleinbahnamt, nach 1945 in Niedersächsisches Landeseisenbahnamt umbenannt, wurde 1959 geschlossen.
Viele Grüße,
Christian
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Die Triebwagen- und Waggonfabrik Wismar

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Die Ursprünge der Waggonfabrik Wismar liegen in einer Fabrik für Schienenfahrzeuge, die der Kapitän Heinrich Podeus aus Warnemünde 1894 gegründet hatte. Die Waggonfabrik war neben einer Kohlenimportfirma, einer Dampfschiffsreederei und einem Säge- und Hobelwerk seine vierte Firma, zu denen später noch eine Eisengießerei und eine Maschinenfabrik hinzukamen.

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Ansicht der Triebwagen- und Waggonfabrik Wismar in einem Präsentationsprospekt um 1920

Herkunft: KLEINBAHN HOYA - SYKE - ASENDORF


Im Jahre 1905 übernahmen seine beiden Söhne die Waggonfabrik und wandelten sie 1907 in eine Gesellschaft - die "Waggonfabrik Wismar GmbH" - um. In den ersten Jahren wurden in der Fabrik ausschließlich herkömmliche Eisenbahnwagen hergestellt. Schon bald aber erlangte die Waggonfabrik Wismar im In- und Ausland einen guten Ruf als Produzentin von Spezialpersonen- und Güterwagen, wie z. B. Schlaf-, Speise-, Gefrier- und Kühlwagen oder Wagen für den Transport lebendiger Fische. 1911 wurde die GmbH zu einer Aktiengesellschaft umgewandelt, und 1917 fusionierte die Waggonfabrik Wismar AG mit der Deutschen Wagen-Leih-Anstalt zur "Eisenbahn-Verkehrsmittel-Aktiengesellschaft" (EVA).
Nach dem 1. Weltkrieg entstanden in Deutschland viele Waggonfabriken. Die Zahl der Fabriken stieg auf insgesamt 69 an, da ein großer Bedarf an Schienenfahrzeugen bestand. Ende der zwanziger Jahre kam es dann aber - etwa zeitgleich mit der Weltwirtschaftskrise - auch in dieser Branche zu einem extrem starken Rückgang der Aufträge, da die Kriegsverluste behoben waren und der Aufschwung zurückging. In der Zeit von 1920 bis 1928 war die Auftragslage in der Waggonfabrik Wismar sehr gut gewesen und man hatte den Betrieb und seine Anlagen umfangreich modernisieren können. Doch die Krise hatte auch Auswirkungen auf das Wismarer Werk, so daß man 1930 von vormals etwa 1450 Arbeitern und Angestellten auf etwa 360 Beschäftigte zurückgehen mußte.

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Prospekt der Triebwagen- und Waggonfabrik Wismar um 1940

Herkunft: KLEINBAHN HOYA - SYKE - ASENDORF


1924 hatte sich ein wahrscheinlich entscheidender Wandel im Produktionsprogramm der Waggonfabrik vollzogen: Man begann erfolgreich mit dem Bau von Triebwagen. Passend zur Seddiner Eisenbahnausstellung im Jahre 1924 wurde der erste vierachsige Verbrennungstriebwagen vom Typ "Seddin" mit einem speziell hierfür entwickelten Maybach-Motor herausgebracht. Innerhalb von kurzer Zeit etablierte sich die Waggonfabrik Wismar dann als Lieferantin von Elektro- und Verbrennungstriebwagen und baute außerdem auch Straßenbahnzüge und Omnibusse.
Mit kleineren Aufträgen konnte sich das Werk in diesen Jahren vor der Schließung bewahren. Ein wichtiger Beitrag zum Erhalt der Fabrik war die Produktion des Schienenbusses des Typ "Hannover", dessen Entwicklung und Herstellung in diese Krisenjahre fiel. Ab Mitte der dreißiger Jahre stiegen die Beschäftigungszahlen wieder an.
Im Laufe der Firmengeschichte entwickelte sich eine fruchtbare Zusammenarbeit mit der 1908 gegründeten Ingenieurschule Wismar, der heutigen Technische Hochschule, in der neue Arbeitsverfahren entwickelt und getestet wurden. Das wichtigste Beispiel hierfür sind wohl die Pionierleistungen im Einsatz der elektrischen Schweißtechnik beim Bau von Schienenfahrzeugen. Im größeren Umfang wurde damals erstmalig beim Bau des Wismarer Schienenbus vom Typ "Hannover" elektrisch geschweißt. Ohne diese Neuerung in der Herstellungstechnik wäre eine derartige Leichtbauweise nicht möglich gewesen.

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Prospekt der Triebwagen- und Waggonfabrik Wismar um 1937

Herkunft: KLEINBAHN HOYA - SYKE - ASENDORF


1936 wurde das Wismarer Werk, das mittlerweile Fahrzeuge aller Spurweiten produzierte, als juristisch selbständiger Betrieb in eine Tochtergesellschaft der EVA umgewandelt und hieß dann: "Triebwagen- und Waggonfabrik Wismar AG". Zu den Kunden gehörten Klein- und Privatbahnen im mittel- und norddeutschen Raum, die Deutsche Reichsbahn, verschiedene Straßenbahnbetriebe und einige ausländische Bahnen. Vor allem seit in den dreißiger Jahren von der Waggonfabrik auch Triebwagen hergestellt wurden, vergrößerte sich der Kundenkreis bei den Kleinbahnen. Auf der Kundenliste der Fabrik waren insgesamt etwa 60 Klein- und Privatbahnen zu finden.
Nach dem 2. Weltkrieg wurden unter sowjetischer Verwaltung keine Schienenfahrzeuge mehr produziert. Nur noch kurzzeitig reparierte man in dem Werk nach dem Krieg Güterwagen.

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Werkalle der Waggonfabrik Wismar
Gleich drei Schienenbusse der Bauart Hannover waren zu diesem Zeitpunkt im Jahre 1932 kurz vor der Fertigstellung. Hinter den Schienenbussen sowie auf dem Nachbargleis sind Rahmen für den Schienenbus zu erkennen.

Herkunft: KLEINBAHN HOYA - SYKE - ASENDORF


1947 wurden die Anlagen der Schiffsreparaturwerft Wismar angegliedert und am 22. Juli 1948 wurde das Werk Wismar verstaatlicht. In den fünfziger Jahren übernahm das Dieselmotorenwerk Rostock das Gelände als Abteilung für Propellerbau. Noch bis Anfang der neunziger Jahre wurde produziert. Mitte der neunziger Jahre wurde der Betrieb eingestellt. Ein Teil der Gebäude wurde mittlerweile abgerissen, die restlichen Fabrikhallen stehen heute leer.
Viele Grüße,
Christian
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Konkurrenzprodukte

Der um 1930 vorhandene Bedarf an leichten, sparsamen Schienenomnibussen beflügelte auch andere Hersteller, derartige Fahrzeuge zu entwickeln. Jedoch erreichte kein anderer Hersteller so hohe Verkaufszahlen wie die Waggonfabrik Wismar.

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Werbeprospekt der Firma Henschel & Sohn, Kassel
Der hier vorgestellte Schienenbus wurde 1931 an die Kleinbahn Grifte - Gudensberg in Hessen ausgeliefert. Auch dort wurde mit dem Schienenbus der bereits eingestellte Personenverkehr auf die Schiene zurückgeholt.
Da nur ein Führerstand vorhanden war, mußte der Wagen an den Endpunkten auf einer Drehscheibe gedreht werden. Der Wagen bewährte sich und war von 1931 bis zur Streckenstillegung im Jahre 1953 im Einsatz. 1958 wurde er verschrottet.

Herkunft: KLEINBAHN HOYA - SYKE - ASENDORF


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Werbeprospekt der Waggonfabrik Uerdingen aus dem Jahre 1933
Der hier vorgestellte Schienenbus wurde 1933 auf der Automobilausstellung in Berlin vorgestellt. Ähnlich dem Wismarer Schienenbus wurden hier LKW-Serienteile verwendet. Allerdings wurden Opel-Teile aus der Opel-Blitz-Fertigung verwendet. Ein Einsatz dieses Wagens in Deutschland ist - abgesehen vom Verkauf eines Exemplars an die Lübeck - Segeberger Eisenbahn im Jahre 1934 - nicht bekannt, zwei Fahrzeuge wurden allerdings nach Brüssel ausgeliefert.

Herkunft: KLEINBAHN HOYA - SYKE - ASENDORF


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Werbeprospekt der Firma Fried. Krupp, Essen
Auch die Krupp AG nahm an der Automobilausstellung 1933 in Berlin teil. Jedoch zeigte sie keinen kompletten Schienenbus, sondern nur ein Fahrgestell. Der Ausstellungs-Schwerpunkt lag bei den Krupp-LKW. Die beigelegten Entwürfe für den Aufbau waren wohl so wenig überzeugend, daß dieses Fahrzeug nie gebaut wurde.

Herkunft: KLEINBAHN HOYA - SYKE - ASENDORF


In Wismar wurden von 1932 bis 1941 insgesamt 59 Schienenbusse vom Typ Hannover und 3 dafür entwickelte Beiwagen für deutsche Bahnen gebaut. Hinzu kamen 25 Schienenbusse und 3 Beiwagen, die an Spanische Privatbahnen zwischen 1933 und 1937 geliefert wurden.
Ursache für den seinerzeit hohen Absatz sind die Bestellungen des Landeskleinbahnamtes Hannover, das federführend für 14 Kleinbahnen Bestellungen vornahm. So konnte sich der Wismarer Schienenbus schnell verbreiten und für sich werben. Andere Hersteller konnten nur wenige ihrer Eigenentwicklungen verkaufen. Oft wurden lediglich die Prototypen verkauft und keine große Werbewirkung erzielt. Zudem war keines der Konkurrenzfahrzeuge so einfach und wartungsfreundlich konstruiert wie der Wismarer Schienenbus.
Erst 1949 gelang es der Uerdinger Waggonfabrik, einen Schienenbus für die Deutsche Bundesbahn zu entwickeln, der mit weiteren Verbesserungen über 900 mal für die DB und für viele Klein- und Privatbahnen gebaut wurde.
Die Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg entwickelte 1955 einen dem Uerdinger Schienenbus sehr ähnlichen Wagen, der jedoch nur in ca. 30 Exemplaren an Klein- und Privatbahnen ausgeliefert wurde.
In der DDR wurde 1957 von der Waggonfabrik Bautzen für die Deutsche Reichsbahn ein Schienenbus entwickelt, der über 150 mal produziert wurde.
Viele Grüße,
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Konkurrenz Bus - Schiene

Der jahrelang bei der Eisenbahn-Bauanstalt Max Jüdel & Co als leitender Ingenieur tätige Heinrich Büssing gründete 1903 seine "Spezialfabrik für Motorlastwagen und Motor-Omnibusse" in Braunschweig - die erste ihrer Art in Deutschland. Um seine Produkte besser verkaufen zu können, gründete er 1904 Deutschlands erste Motoromnibus-Linie von Braunschweig nach Wendeburg.

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Am 3. Juni 1904 machte Heinrich Büssing mit seinem neuentwickelten Omnibus erste Fahrversuche. Um das Fahrzeug besser vermarkten zu können eröffnete er noch 1904 die erste Post-Omnibuslinie der Welt

Der Erfolg stellte sich schnell ein und Büssing wurde zum bedeutesten LKW und Omnibushersteller in Deutschland. Anfangs wurden die Omnibusse überwiegend in Großstädten wie Berlin oder Leipzig verkauft, ab Mitte der zwanziger Jahre kamen aber auch Überlandlinien hinzu. Langsam kam auch anderen Herstellern die Einsicht, daß nicht nur mit PKW, sondern auch mit Fahrzeugen für den gewerblichen Transport, Geld zu verdienen war.

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Die Busse der Linie Braunschweig - Wendeburg wurden im Büssing-Werk gewartet.

Der Anteil der Omnibusse im Überlandverkehr nahm ständig zu, so daß sich die Eisenbahnen und insbesondere die Kleinbahnen genötigt sahen, eine gemeinsame Initiative gegen den Vormarsch der Omnibusse zu starten. Unter dem Stichwort "Bekämpfung der Kraftwagenkonkurrenz" wurden vom Landeskleinbahnamt verschiedene Vorschläge zur Erhöhung der Fahrgastzahlen an die Kleinbahnen gemacht. Dies reichte von der Eröffnung eigener Omnibuslinien bis zur Förderung des Schienenpersonenverkehrs.

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Auszug aus dem Bericht einer Fachtagung der Betriebsleiter-Vereinigung Deutscher Privateisenbahnen und Kleinbahnen vom 11. und 12. November 1932
Hier werden bereits erste Erfahrungen und Bedenken über den Schienenbus ausgetauscht.

DIESER AUSZUG IST DER VOM KLEINBAHNMUSEUM BRUCHHAUSEN-VILSEN HERAUSGEGEBENEN ZEITSCHRIFT FÜR KLEINBAHNGESCHICHTE "DIE MUSEUMSEISENBAHN" AUSGABE 2/1998 ENTNOMMEN.


Um den Fahrgästen - insbesondere durch eine entsprechende Inneneinrichtung - einen ähnlichen oder sogar besseren Komfort zu bieten als es die Omnibusse taten, wurde die Entwicklung eines "Schienenomnibusses" vorangetrieben.

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Auch die Kleinbahn Hoya-Syke-Asendorf beschaffte 1932 den ersten Omnibus um den unwirtschaftlichen Personenverkehr nach Asendorf rationeller zu gestalten.

Aufnahme: ARCHIV KLEINBAHNMUSEUM BRUCHHAUSEN-VILSEN



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Innenansicht eines Linienbusses der Überlandwerke und Strassenbahnen (ÜSTRA) in Hannover, karosseriert 1930 von der Hannoverschen Waggonfabrik (HAWA)
Die Waggonfabrik versuchte Ende der zwanziger Jahre mit dem Bau von Omnibussen der Krise im Schienenfahrzeugbau zu entkommen. 1931 mußte sie schließlich den Konkurs anmelden.

Aufnahme: ARCHIV KLEINBAHNMUSEUM BRUCHHAUSEN-VILSEN
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Entwicklung und Bau

Ende der Zwanziger Jahre versuchte das Landeskleinbahnamt einen Leichttriebwagen zu entwickeln, der folgende Anforderungen erfüllen mußte:
  • niedriger Anschaffungspreis
  • einfache und billige Unterhaltung
  • niedrige Betriebskosten für den gefahrenen Kilometer
  • sichere und gute Fahrmöglichkeiten in beiden Richtungen, ohne zu wenden
Von den führenden Lieferanten wurden Angebote insbesondere für einen passenden Motor und ein entsprechendes Getriebe eingeholt. Die Kombination von Motor, Schaltgetriebe mit vier Gängen und Wechselgetriebe für Vorwärts- und Rückwärtsfahrt war jedoch recht teuer und sehr schwer.
Der damalige Leiter des Landeskleinbahnamtes Carl Bauer war mit dem Leiter der Ford-Verkaufsfiliale in Hannover befreundet, und erzählte ihm von seinen Problemen bei der Leichttriebwagenentwicklung. Der Vorschlag seines Freundes lautete: "Warum nimmst du nicht zwei Ford-Motoren und zwei Ford-Getriebe, für jede Fahrtrichtung einen eigenen Antrieb. Da sparst du das Wendegetriebe".

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Werbeprospekt der Ford Motor Company, Köln.
Die Motoren der Ford-A Reihe sowie der 10 PS stärkeren Ford-B Reihe waren vielseitig verwendbar. Mit diesem Prospekt warb man um Kunden in der Industrie. Die Ford-B Motoren waren gegenüber den Ford-A Motoren mit verbesserter Ölschmierung und höherer Verdichtung konstruiert worden. Dadurch wurde beim Ford-B Modell eine um 400 Umdrehungen pro Minute höhere Motordrehzahl ermöglicht. Die Leistung konnte so von 40 auf 50 PS gesteigert werden.

Herkunft: KLEINBAHN HOYA - SYKE - ASENDORF


Durch die Massenproduktion dieser Aggregate, die aus der LKW-Fertigung des 1930 in Köln eröffneten Ford-Werkes stammten, wurde der Einsatz von zwei Maschinenanlagen sogar noch billiger, als wenn man Spezialgetriebe für Triebwagen verwendet hätte, die nur in geringen Stückzahlen gebaut wurden. Auf Grund der niedrigen Beschaffungskosten kamen noch weitere Ford-Teile zum Einsatz, wie Antriebswellen, Bremsen, Motorhauben, Benzintanks, Armaturen, Scheinwerfer etc.

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Antriebsachse mit Ford-Bremstrommeln.

Aufnahme: WERKFOTO / ARCHIV KLEINBAHNMUSEUM BRUCHHAUSEN-VILSEN


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Entwurfszeichnung des Schienen-Omnibus von der Waggonfabrik Wismar vom 22.10.1931
Ursprünglich waren nur zwei diagonal angeordnete Einstiegstüren vorgesehen, jedoch wurden sämtliche Schienenbusse mit vier Türen gebaut und ausgeliefert. Trotzdem wurde dieses Werbebild noch 1933 an die Kleinbahn Hoya-Syke-Asendorf verschickt.

Aufnahme: WERKFOTO / ARCHIV KLEINBAHNMUSEUM BRUCHHAUSEN-VILSEN


Im Jahre 1931 ging der Auftrag zur Entwicklung eines "Schienenomnibusses" an die Waggonfabrik Wismar. So entstand der erste brauchbare Entwurf eines Schienenbusses, der in Konkurrenz zum Omnibus treten sollte.
Der Prototyp wurde 1932 fertiggestellt und an die Kleinbahn Lüneburg-Soltau ausgeliefert. Am 4. Juni 1932 fand die erste Probefahrt statt und nachdem die Vertreter des Landeskleinbahnamtes mit dem Fahrzeug zufrieden waren, wurde es vier Tage später in Betrieb genommen.

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Der für die Kleinbahn Lüneburg - Soltau gebaute Prototyp des Wismarer Schienenbusses im Jahre 1932
Die Aufnahme zeigt ihn vermutlich am Plauer See auf der Reichsbahn-Strecke Wismar - Blankenberg - Karow - Waren, die für Probe- und Fotofahrten genutzt wurde. Die später veränderte Türanordnung ist gut erkennbar.

Aufnahme: WERKFOTO / ARCHIV KLEINBAHNMUSEUM BRUCHHAUSEN-VILSEN


Die mit dem Prototyp gewonnenen Erfahrungen flossen in die Vorbereitungen zur Serienproduktion ein. So wurden kleinere Veränderungen durchgeführt: Zum Beispiel wurden die Drehtüren durch Schiebetüren ersetzt, dadurch veränderte sich die Anordnung der Fenster und die Anordnung der Armaturen auf dem Armaturenbrett. Mit diesen Veränderungen wurde die erste Serie mit neun Schienenbussen vom Landeskleinbahnamt für verschiedene Kleinbahnen bestellt. Das erste Serienfahrzeug wurde Mitte 1932 für 24.800 Reichsmark bestellt und am 5. Januar 1933 an die Steinhuder Meer-Bahn geliefert und befindet sich heute im Kleinbahnmuseum Bruchhausen-Vilsen.

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Ankunft des neuen SK 1 von der Triebwagen- und Waggonfabrik Wismar im Januar 1933 in Wunstorf
Der Schienenbus wurde mittels der Handwindenböcke angehoben und der Rungenwagen wird bereits darunter herausgeschoben.

Aufnahme: SAMMLUNG H. BECKEDORF


Alle neun Fahrzeuge wurden nach den gleichen Plänen gebaut, obwohl sie unterschiedliche Spurweiten besaßen.
Bei umfangreichen Testfahrten der Kleinbahnen wurden alle Faktoren für eine Betriebskostenrechnung ermittelt. Sie bewährten sich außerordentlich gut, so daß kurz darauf weitere Bestellungen folgten. Offenbar hatte man sich aber in den Herstellungskosten verkalkuliert, denn Ende 1932 wurden die Schienenbusse bereits für 25.690 Reichsmark angeboten.
Viele Grüße,
Christian
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Die Leichtbau-Konstruktion

Die Triebwagenkonstruktionen der zwanziger Jahre basierten auf schweren genieteten Fahrgestellen, die denen der Personenwagen glichen aber noch weiter verstärkt waren. Solch eine Konstruktion war für einen leichten Schienenbus nicht brauchbar. Ein Schienenbus soll nicht in Zügen, sondern einzeln fahren, er muß also auch keine Zug- und Stoßkräfte aufnehmen können. Daher beschritt man beim Bau der Schienenbusse neue Wege: Die Stahlprofile, die zum Bau des Rahmens verarbeitet wurden, waren nicht mehr aus Vollmaterial, sondern sie waren mit runden Aussparungen zur Gewichtsersparnis versehen.

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Die neuentwickelte Leichtbaukonstruktion der Waggonfabrik Wismar 1933 neben den Werkshallen
Deutlich sind die Aussparungen in den Querträgern zu erkennen. Der hier gezeigte Rohbau gehört zu einem Schienenbus vom Typ Venezuela, der - abgesehen von einem Exemplar für die Rhein-Sieg Eisenbahn - nur für den Export nach Südamerika gebaut wurde. Die Konstruktion war jedoch weitestgehend mit den Schienenbussen vom Typ Hannover identisch.

Aufnahme: WERKFOTO WAGGONFABRIK WISMAR,
ARCHIV KLEINBAHNMUSEUM BRUCHHAUSEN-VILSEN


Die Entwicklung dieser Technik wurde unter anderem in dem seinerzeit in voller Blüte stehenden Luftschiffbau in Friedrichshafen und dem Flugzeugbau bei Junkers in Dessau stark vorangetrieben. Die Stahlprofile wurden nicht mehr durch Nieten verbunden, sondern man wendete die Schweißtechnik an. Der Wismarer Schienenbus war die erste geschweißte Konstruktion der Waggonfabrik Wismar.
Durch die Verwendung von gesickten Profilen am Aufbau des Wagens konnte zusätzlich Gewicht gespart werden. Der gesamte Schienenbus brachte komplett eingerichtet ca. 6 Tonnen auf die Waage. Zwar war er etwas schwerer als die um 1930 gebauten Omnibusse, aber immerhin war er noch deutlich leichter als die Triebwagen, die mit der herkömmlichen Konstruktion etwa 15 bis 20 Tonnen wogen. Dadurch wurden die Kraftstoffkosten reduziert und ein wirtschaftlicher Betrieb bereits ab sechs zahlenden Fahrgästen ermöglicht.

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Bei der Leichtbau-Konstruktion des Typ Venezuela war genau wie beim Typ Hannover die "Bauchbinde" aus gewalzten Blechprofilen als tragendes Element ausgeführt. Erst zusammen mit der Verblechung wurde die nötige Stabilität des Wagenkastens erreicht. Es war also kein Fahrzeugrahmen mit aufgesetztem Aufbau vorhanden, wie es im bisherigen Triebwagenbau der Fall war, sondern es wurde eine selbsttragende Karosserie entwickelt.

Aufnahme: WERKFOTO WAGGONFABRIK WISMAR,
ARCHIV KLEINBAHNMUSEUM BRUCHHAUSEN-VILSEN


Zum Antrieb wurden fast ausschließlich Ford-Serienteile verwandt. Der Ford-LKW vom Typ AA verfügte über einen Vierzylinder-Benzinmotor mit 40 PS sowie ein nichtsynchronisiertes Vierganggetriebe. Der Antrieb erfolgte über eine Gelenkwelle zum Differential der Hinterachse. Soweit wurde der Antrieb übernommen, lediglich das Differential wurde im Schienenfahrzeug nicht benötigt und durch ein gewöhnliches Kegelradgetriebe ersetzt. Die Triebwagenachsen entsprachen einer verstärkten Version der Ford-Lkw-Hinterachse, an die ebenfalls Ford-Bremstrommeln angebracht waren.

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Die aufgepreßten Scheibenräder waren wiederum eine Neuentwicklung: Um die Fahrgeräusche und die Erschütterungen zu dämpfen, war zwischen Radscheibe und Radreifen ein Gummiring eingelegt. Dieses Prinzip hat sich bestens bewährt und in über sechzig Betriebsjahren zu keiner Beanstandung geführt.

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Werbeprospekt der Waggonfabrik Wismar aus dem Jahre 1932
Auf dem Titelbild ist eine Seitenansicht vom Prototyp des Wismarer Schienenbusses abgebildet, während die Skizze auf der Innenseite des Prospektes noch den Entwurf mit nur zwei diagonal angeordneten Einstiegstüren zeigt.

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Die Innenausstattung

Der Innenraum des Triebwagens wurde wie ein Omnibus eingerichtet. Die Sitze standen wahlweise mit Plüsch- oder Kunstlederbezügen zur Auswahl. Die Wände waren mit eichenfuniertem Sperrholz verkleidet. Unterhalb der Fenster wurde dunkelbraune Linkrusta-Tapete - eine Art Linoleum-Tapete - verarbeitet. Der Fußboden wurde mit ebenfalls dunkelbraunem Linoleum ausgelegt. Die Fenster waren mit grünen Vorhängen versehen, die Stirnfenster mit grünen Rollos.

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Innenansicht eines Wismarer Schienenbusses im Jahre 1934
Gegenüber der dritten Klasse bei den Eisenbahnen, die mit Holzbänken ausgestattet war, ist die Einrichtung äußerst komfortabel. Die Wismarer Schienenbusse mußten aber den Komfort der Autobusse überbieten, wenn sie Erfolg haben wollten.

Aufnahme: WERKFOTO WAGGONFABRIK WISMAR,
ARCHIV KLEINBAHNMUSEUM BRUCHHAUSEN -VILSEN


Die Triebwagen sollten eine modernes Erscheinungsbild bekommen. Man bediente sich daher künstlerischen Beratern, die sowohl die äußere Erscheinungsform wie auch Formen und Farben der Inneneinrichtung vorschlugen. Die seinerzeit modernsten und innovativsten Ideen wurden im 1919 gegründeten Bauhaus in Weimar, das ab 1925 in Dessau ansässig war, entwickelt.

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Innenansicht des SK 1 der Steinhuder Meer-Bahn, dem heutigen T 41 im Kleinbahnmuseum zu Beginn der dreißiger Jahre
Der Schienenbus besaß einheitlich die dritte Wagenklasse, dafür ist die komfortable Ausstattung der Abteile bemerkenswert. Auffällig sind die vom Bauhaus-Stil geprägten Polsterstoffe.

Aufnahme: ARCHIV KLEINBAHNMUSEUM BRUCHHAUSEN-VILSEN


Nach Auffassung der Bauhaus-Designer bedingen Funktionalität und Materialgerechtigkeit Schönheit und Stil des Produktes. Bauhausschüler genossen einen guten, wenn auch nicht unumstrittenen Ruf. Die Waggonfabrik Wismar engagierte Schüler des Bauhauses, um Impulse zur Gestaltung der Fahrzeuge zu gewinnen. So gelangte auch der Sohn des damaligen Leiters des Landeskleinbahnamtes Carl Bauer Junior als Berater zur Waggonfabrik Wismar.
Die Einflüsse des Bauhaus in der Innengestaltung sind auffällig und trugen sicherlich auch zur Beliebtheit des Schienenbusses bei den Fahrgästen bei. Auch nach dem Schließen des Bauhauses 1933 durch die Nationalsozialisten wurden Aufträge - so zum Beispiel für die äußere Gestaltung der Triebwagen und Schienenbusse - an Bauhausabsolventen vergeben.

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Entwurfszeichnung von dem Bauhaus-Absolventen Carl Bauer für die Waggonfabrik Wismar
Mit den im Schienenbusbau gemachten Erfahrungen sollte ein Leichttriebwagen mit einem Unterflur-Dieselmotor entwickelt werden. In dieser Form kam es zwar nicht zur Ausführung, aber eine Ähnlichkeit zum Typ Frankfurt ist erkennbar.

Herkunft: CARL BAUER



Die Heizung

Ursprünglich waren die Wismarer Schienenbusse ohne eigene Heizung gebaut worden. Für die Beheizung des Fahrgastraumes und der Motoren bei Frostgefahr wurden von vielen Bahnen sogenannte Katalyt-Heizungen beschafft worden. Diese mobilen Heizgeräte arbeiteten mit Benzin, das katalytisch verbrannt wurde, und wurden in den Fahrgastraum gestellt. Da die Motoren in der Regel ohne Kühlwasser-Frostschutz gefahren wurden, wurden die Katalyt-Heizungen im Winter auch zum Warmhalten der Motoren über Nacht unter die Motorhaube gestellt.

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Werbeprospekt aus dem Jahre 1932
Der Katalyt-Ofen No. 2730 wurde bereits im Herbst 1933 zur Verstärkung der schwachen Heizung im heutigen T 41 aufgestellt. Diese Zusatzöfen wurden in allen Bussen - und Schienenbussen - des Landeskleinbahnamtes eingesetzt.

Herkunft: KLEINBAHN HOYA - SYKE - ASENDORF


Die Kleinbahn Wilstedt-Zeven-Tostedt entwickelte 1934 für ihren SK1 eine Frischluftheizung, bei der vom Kühler vorgewärmte Luft über einen einfachen Wärmetauscher am Abgasrohr vorbei in den Fahrgastraum geführt wurde.
Wie auch schon das von der Kleinbahn Wilstedt-Zeven-Tostedt entwickelte Läutewerk wurde auch die Heizung von der Waggonfabrik Wismar in die Serienproduktion übernommen und in bereits ausgelieferte Wagen nachgerüstet.

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Zeichnung der Frischluft-Heizung
Die Kleinbahn Wilstedt-Zeven-Tostedt konstruierte diese Heizung und sandte den Verbesserungsvorschlag an das Landeskleinbahnamt in Hannover. Von dort wurde es an alle Schienenbus-Besitzer weitergeleitet, damit die anderen Wagen nachgerüstet werden konnten.

Herkunft: KLEINBAHN HOYA - SYKE - ASENDORF

Hier ist die Zeichnung etwas größer zur Ansicht: http://www.arctofilz.de/devforum/imguplo...izung_gross.jpg
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Christian
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Betrieb und Umbau

Nach den Erfahrungen mit den ersten Schienenbussen flossen ständig Verbesserungen und spezielle Kundenwünsche in die Produktion ein. So wurden maßgeblich durch die Kreativität der Zevener Werkstatt der Kleinbahn Wilstedt-Zeven-Tostedt beeinflußt das Läutewerk und die Heizung verbessert. Anfang 1934 wurde der erste Wagen mit einem verschließbaren Führerstand ausgerüstet. Die hierfür eingebaute Schiebetür konnte nur geschlossen werden, wenn die Handbremse gelöst und die Gangschaltung im Leerlauf war. Somit waren Fehlbedienungen der Triebwagenführer oder Eingriffe von Fahrgästen am nicht benutzten Führerstand nicht mehr möglich.

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Der am 7.4.1934 mit der Betriebsnummer 1021 an die Niederlausitzer Eisenbahn abgelieferte Schienenbus war der erste mit verschließbaren Führerständen. Die Werksaufnahmen wurden daher zu Werbezwecken an potentielle Kunden verschickt. Der Fahrersitz verschwand mit sämtlichen Armaturen vor Zugriffen geschützt hinter der Schiebetür.

Aufnahme: WERKFOTO WAGGONFABRIK WISMAR,
ARCHIV KLEINBAHNMUSEUM BRUCHHAUSEN-VILSEN


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Wenn die Schiebetür geöffnet war, konnte der Fahrersitz mit drei Handgriffen ausgeklappt werden. Das in den Haken an der Decke eingehängte Seil dient zur Bedienung der Hand-Dachglocke und mußte beim Führerstandswechsel jeweils mitgenommen werden. Ab 1935 wurde der Gashebel links auf dem Armaturenbrett mit einer Totmannschaltung versehen. Der Knauf am Gashebel mußte hierbei ständig festgehalten werden, andernfalls wurde der Zündstrom unterbrochen und der Motor bremste den Wagen ab.

Aufnahme: WERKFOTO WAGGONFABRIK WISMAR,
ARCHIV KLEINBAHNMUSEUM BRUCHHAUSEN-VILSEN


Ab 1935 wurde der stärkere Ford-BB-Motor in die Schienenbusse eingesetzt. Mit seinen 50 PS Leistung konnte die Fahrgeschwindigkeit von 50 auf 60 km/h erhöht werden. Passend zu den Motoren wurden jetzt die neuen Motorvorbauten vom Ford-LKW mit den Gitterstäben vor dem Kühler übernommen. Viele ältere Schienenbusse wurden nach und nach auf die stärkeren Motoren umgerüstet.
Vermehrt kamen die seit Ende 1933 hergestellten, breiten Wagenkästen zur Ausführung, die durch schräg verlaufende Seitenwände an den Enden des Wagenkastens in der Mitte des Wagens Platz für zwei zusätzliche Sitzplätze pro Abteil schufen. (siehe T 148 der Delmenhorst-Harpstedter Eisenbahn http://www.arctofilz.de/devforum/thema.p...d=7&thema=4)
Um 1940 wurde neben der bis dahin rein mechanischen Fußbremse auch die hydraulische Fußbremse von Ford eingebaut.

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Werkzeichnung zur Anordnung der Trichterkupplung für Beiwagen
ARCHIV KLEINBAHNMUSEUM BRUCHHAUSEN-VILSEN


Einige Wagen wurden ab Werk und einige nachträglich für den Betrieb mit Beiwagen mit einer bei Strassenbahnen üblichen Trichterkupplung ausgerüstet. Von der Waggonfabrik Wismar wurden passend zu den Schienenbussen zwei Beiwagen in Deutschland ausgeliefert und drei für den Export nach Spanien gebaut. Die Inselbahn Borkum beschaffte sich zwei eigene Beiwagen aus Marinebeständen. Die Kleinbahn Leer-Aurich-Wittmund baute einen ihrer Schienenbusse nach einem Unfall zum Beiwagen um.

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Der spätere T 25 der Sylter Inselbahn hier bei seiner Ablieferung an die Fliegerhorstkommandatur List im Originalzustand mit montierter Trichterkupplung
Aufnahme: ARCHIV KLEINBAHNMUSEUM BRUCHHAUSEN-VILSEN


Nach dem Krieg wurden die Ford-Motoren vermehrt gegen stärkere Motoren ausgetauscht: Bei der Butzbach-Licher Eisenbahn wurden zwei Ford-V8-Motoren mit jeweils 85 PS eingebaut, bei der Sylter Inselbahn ersetzte man den alten Motor durch einen Borgward B 4000 Dieselmotor mit 95 PS. Die Buxtehude-Harsefelder Eisenbahn baute ihren Schienenbus 1955 auf Unterflurantrieb mit einem 65 PS Dieselmotor um, dabei wurde der Wagen um ein Abteil verlängert und es entfielen die Motorvorbauten.

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Der T 25 der Sylter Inselbahn nach dem Umbau auf Borgward-Motoren, dahinter der T 22 mit Ford-Motoren
Aufnahme: HARALD KINDERMANN

Die in der DDR verbliebenen Schienenbusse wurden, wenn sie nicht abgestellt wurden, aus Ersatzteilgründen auf den in der DDR produzierten Garant-Dieselmotor mit 47 PS umgerüstet.
Ab dem Ende der fünfziger Jahre wurden viele Schienenbusse abgestellt, zum einen weil bei vielen Bahnen der gesamte Personenverkehr eingestellt wurde, zum anderen kamen auch vermehrt technische Probleme hinzu: Die leichten Fahrzeuge schalteten die neuen Kontakte für Blinklichtanlagen nicht oder die durch die Gummieinlage isolierte Achse brachte die Gleisbesetztmeldung auf den neuen Gleisbildstellwerken durcheinander, so daß auf Bundesbahnstrecken nicht mehr gefahren werden durfte. Da aber viele Kleinbahnen ihre Fahrstrecken auf der Bundesbahn bis zu den nächst größeren Bahnhöfen ausweiteten, konnten hier keine Schienenbusse mehr eingesetzt werden.
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Christian
Christian
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Der Wismarer Schienenbus vom Typ Hannover

Beitrag von Christian »

Sonderausführungen

Im Grunde waren alle nach der ersten Serie gebauten Schienenbusse Sonderausführungen, denn alle waren durch besondere Kundenwünsche geprägt. So wurden sowohl breite als auch schmale Wagenkästen bzw. lange und kurze Achsstände gebaut. Es kamen Schiebetüren oder Drehtüren, Plüsch-, Kunstleder- oder wahlweise Holzsitze zur Ausführung.

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Innenaufnahme des T 2 der Borkumer Kleinbahn

Aufnahme: CHRISTIAN SCHRÖDER


Einige Schienenbusse wurden auch mit Gepäckabteil oder Toiletten bestellt. Damit war die ursprüngliche Einheitlichkeit der Typenreihe kaum noch gegeben und fast jeder Wagen zur Einzelanfertigung geworden.

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T 42 der Kleinbahn Hoya-Syke-Asendorf in der langen Version mit Gepäckraum und Toilette

Aufnahme: ARCHIV KLEINBAHNMUSEUM BRUCHHAUSEN-VILSEN


Ab Mitte der dreißiger Jahre wurden vom Staat Programme gefördert, heimische Energien zu nutzen. So entstand der sogenannte Typ C, ein Schienenbus mit Holzvergaser. Hier wurde ein Abteil fortgelassen und statt dessen ein Hansa-Holzvergaser eingebaut. Zur Bedienung konnte von Außen eine Tür geöffnet werden, um Holz nachzulegen. Als Antriebsmotoren dienten ebenfalls Ford-BB-Motoren, die auf Gasbetrieb umgerüstet waren. Die Motoren waren außerordentlich vielseitig: In den vereinigten Staaten wurden Ford-A-Motoren sogar auf Dampfbetrieb umgebaut.

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Anordnung des Holzgasgenerators in einer Angebotszeichnung von 1937 an die Kreisbahn Cloppenburg
Der Generator nahm lediglich einen Sitzplatz ein und konnte von außen mit Holz bestückt werden. Das Holz wurde auf dem Dachgepäckträger mitgeführt.
Das gezeichnete Fahrzeug mit 785 mm Spurweite wurde ursprünglich der Rhein-Sieg Eisenbahn angeboten. 1938 wurden an beide Bahnen Schienenbusse abgeliefert, allerdings ohne Holzgasgenerator.

Herkunft: KLEINBAHN HOYA - SYKE - ASENDORF


Der erste Holzgas-Schienenbus wurde an die Bleckeder Kleinbahn ausgeliefert und bewährte sich. Die Energiekosten waren niedriger als bei den Benzinmotoren und die Vorheizzeit von fünf bis acht Minuten wirkte sich kaum störend aus. Dennoch blieb es bei der Produktion von zwei Fahrzeugen, dem oben erwähnten und einem Wagen für die Naugarder Kleinbahn. Lediglich die Kleinbahn Wilstedt-Zeven-Tostedt rüstete zwei Schienenbusse in eigener Werkstatt auf Holzgasbetrieb um.

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T 509 der Osthannoverschen Eisenbahn wurde mit Holzvergaser als SK 2 an die Bleckeder Kleinbahn geliefert. Heute ist er in Schönberger Strand abgestellt.

Aufnahme: CHRISTIAN SCHRÖDER


Mit Beginn des zweiten Weltkrieges wurden aus den Förderprogrammen Reglementierungen für die Bahnen. Wenn sie ihre Schienenbusse nicht abstellen wollten, mußten sie diese auf Gasbetrieb umbauen. Dazu wurden unter oder auf dem Wagen zwei Gasflaschen angebracht und die Vergaser soweit umgebaut, daß auf Gasbetrieb umgeschaltet werden konnte. Die Gasflaschen konnten ausgetauscht werden, so daß ein Befüllen mit dem Propan-Butan Gemisch vermieden wurde. Die meisten Schienenbusse wurden nach dem Krieg wieder zurückgebaut. Einige blieben jedoch bis zur Stillegung beim Gasbetrieb.

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Am T 40 der Kleinbahn Hoya - Syke - Asendorf werden gleich eine Anzahl von Umbauten ersichtlich: Ursprünglich für die Cloppenburger Kreisbahn mit 750 mm Spurweite gebaut, wurde der Wagen 1951 in Hoya auf 1000 mm Spurweite umgebaut. Unter dem Wagen sind zwei Gasflaschen für den Gasbetrieb der Motoren deutlich zu erkennen. Der zur Beladung unpraktische Dachgepäckträger wurde durch Körbe neben den Motorvorbauten ersetzt. Vor den Kühlern wurden Stangen mit Haltegabeln zum Transport von Fahrrädern befestigt. Als 1958 auf Eisenbahnen das Dreilicht-Spitzensignal eingeführt wurde, baute man einen zusätzlichen Scheinwerfer am Wagendach an.

Aufnahme: SAMMLUNG GERHARD MOLL


Eine bemerkenswerte Sonderkonstruktion wurde 1934 an die Saarbahnen abgeliefert. Das Saarland war durch den Versailler Vertrag 1920 dem Völkerbund unterstellt, und die Saarbahnen übernahmen die Staatsbahnstrecken, bis 1935 durch eine Volksabstimmung das Saarland und damit die Saarbahnen dem Deutschen Reich angegliedert wurden.
Den Staatsbahneinfluß merkte man den Saarbahnen durchaus an, denn die bestellten Schienenbusse sollten statt Benzinmotoren zwei Dieselmotoren erhalten, die auf ein gemeinsames Schalt- und Wendegetriebe wirkten und beide Achsen antrieben. So war ein Fahren mit beiden Motoren gleichzeitig möglich. Mit dieser aufwendigen, schwereren Konstruktion waren allerdings die besonderen Anforderungen, die zur Entwicklung des Schienenbusses geführt hatten, kaum noch erfüllt, so daß man ebenso einen normalen Triebwagen hätte bauen können.

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Frontansicht eines Wismarer Schienenbusses im Jahre 1934
Auf dem Dach befindet sich noch das Hand-Läutewerk. An die regelspurigen Schienenbusse mußte ein breiter Stoßbügel vor dem Kühler angebracht werden, um mögliche Kollisionen mit den beiden außen liegenden Puffern anderer Eisenbahnfahrzeuge zu verhindern. In den Ford-Kühlwasserthermometern auf den Kühlern wurde der "Ford"-Schriftzug gegen das "EVA"-Zeichen der Eisenbahn-Verkehrsmittel-Aktiengesellschaft ausgetauscht. Als Verbesserung gegenüber dem Prototyp sind auf dem Motorvorbau bereits zwei Tankeinfüllstutzen angebracht worden.
Dieser Wagen wurde mit der Betriebsnummer 1021 an die Niederlausitzer Eisenbahn ausgeliefert.

Aufnahme: WERKFOTO WAGGONFABRIK WISMAR,
ARCHIV KLEINBAHNMUSEUM BRUCHHAUSEN -VILSEN
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Christian
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Der Wismarer Schienenbus vom Typ Hannover

Beitrag von Christian »

Soweit mit dem Text der Ausstellung, zum Abschluss noch einige Fotos vom T 41 im Einsatz bei der Steinhuder-Meer-Bahn

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Ankunft des neuen SK 1 von der Triebwagen- und Waggonfabrik Wismar im Januar 1933 in Wunstorf
Nach dem Aufgleisen des gerade abgeladenen SK 1 in Wunstorf stellen sich Akteure und Zuschauer für ein Gruppenbild auf.

Aufnahme: SAMMLUNG H. BECKEDORF


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SK 1 im Frühjahr 1933 im Bahnhof Stolzenau
Im Hintergrund ist die von der Kleinbahn und vom Straßenverkehr gemeinsam genutzte Weserbrücke zu erkennen.

Aufnahme: ARCHIV STEINHUDER MEER-BAHN

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Der neue SK 1 der Steinhuder Meer-Bahn im Frühjahr 1933 in Uchte
Als Fahrer wurde der bisherige Busfahrer Heinrich Dammeyer umgeschult. Die äußere Form ist der eines Omnibusses sehr ähnlich, insbesondere die großzügige Verglasung und der damit helle Innenraum sind mit dem Omnibus vergleichbar.

Aufnahme: ARCHIV STEINHUDER MEER-BAHN


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SK 1 im Frühjahr oder Sommer1933 zwischen Stolzenau und Leese auf der von Kleinbahn und Straßenverkehr gemeinsam genutzten Weserbrücke

Aufnahme: ARCHIV STEINHUDER MEER-BAHN


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SK 1 im Jahre 1934 oder 1935 im Bahnhof Stolzenau
Triebfahrzeugführer Heinrich Dammeyer stellt sich mit dem Zugführer und Fahrgästen dem Fotografen.

Aufnahme: ARCHIV STEINHUDER MEER-BAHN


sowie ein Bild auf der heutigen Stammstrecke des T 41

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T 40 der Hoya-Syke-Asendorfer Eisenbahn im Bf Heiligenberg

Der Wagen war 1938 für die Kleinbahn Cloppenburg-Landesgrenze mit 750 mm Spurweite gebaut worden und 1951 auf 1000 mm umgespurt worden.

Aufnahme: ARCHIV KLEINBAHNMUSEUM
Viele Grüße,
Christian
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