(k)eine (Klein)Bahngeschichte

Beiträge zur Geschichte von Klein- oder Privatbahnen
harfe
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Registriert: Mi 14. Mai 2008, 17:22

(k)eine (Klein)Bahngeschichte

Beitrag von harfe »

Ich habe mal ein wenig in meinem Archiv geschürft, und dabei noch folgende kleine Geschichte gefunden, die ich Euch nicht vorenthalten möchte:

Zu den Privatbahnen und zu persönlichen Erlebnissen der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts habe ich ja schon einiges geschrieben. Ich möchte jetzt mal versuchen, aus der Erinnerung heraus ein paar Eisenbahnerlebnisse aus den 70er Jahren zu berichten.
Da gibt es einige.
Wiederum mit dem Hinweis, daß ich mich nie ernsthaft mit der Fotografie beschäftigt habe - darum die Bitte an die Anderen: wer hierzu ein paar Bildbeiträge liefern kann, nur zu, ich wäre dankbar.

Fangen wir an: Frühjahr 1972 - unsere Familie wohnte damals noch in Bremen-Findorff, einem Eisenbahnerviertel par excellance. Alt-Findorff war nur einen Steinwurf von den umfangreichen Bahnanlagen des Bremer Hauptbahnhofes entfernt. Viele Beschäftigte des Bahnhofes, aber auch des Betriebswerkes sowie die Handwerker der Wagenwerkstatt wohnten in Findorff. Hier gab es einen "Eisenbahn Spar- und Bauverein", auf dem Wochenmarkt traf man am Sonnabend besonders viele Eisenbahner (aktive und Ehemalige), die ganz selbstverständlich mit der "zivileren" Skimütze oder einer ausrangierten Uniformjacke einkaufen gingen.
Wir wohnten jedoch in einem neueren Teil Findorffs, zum Weidedamm hin - im Einzugsbereich der ehemaligen Kleinbahn Bremen-Tarmstedt ("Jan Reiners"), die ich jedoch nicht mehr live erleben durfte. Einige hundert Meter von unserer Wohnung entfernt war das Stellwerk Uf an der Hamburger Bahn, welches den Abzweig zum Rbf bediente und eine Awanst zum Umspannwerk der Überlandwerke Nord-Hannover bediente. Auf dem Gelände (heute Eisenbahn-Sportverein Blau-Weiß - Abtlg. Schießsport) befand sich übrigens früher der Umladebahnhof zwischen Normal- (DR/DB) und Schmalspur (KBT). Schienenreste der Kleinbahn parallel zum DB-Bahndamm fanden sich übrigens noch zu meiner Kindheit im Asphalt der Straße-
Sonntagsspaziergänge mit meinem Vater führten uns oft zum Stellwerk, wenn mein Vater einen der Kollegen dort kannte, ging er gern zu einem kleinen Schnack dort hinauf und nahm uns natürlich mit. Das E-43-Stellwerk war, für uns Kinder, gewaltig, allein schon die steile Treppe in den Stellwerksraum, die "eisenbahntypischen Düfte" beim Aufstieg in den Wärterraum- Und dann natürlich einmal wie der Fahrdienstleiter aus dem Fenster schauen, die Unterarme auf das Rahmenpolster gestützt und dabei den Suchscheinwerfer schwenken - also so richtig was für Kinder - einmal wie die Großen sein!

Aber ich will eigentlich von etwas ganz anderem berichten: meine erste Mitfahrt auf einer Lokomotive - das war zwar nur eine Köf II - aber immerhin, für mich war das damals (ich war ja erst neun Jahre alt) ein gewaltiges Ding!
Mein Vater war damals im Verkehrsdienst in der Güterabfertigung in Bremen-Vegesack beschäftigt. Seine Aufgabe war der Schalterdienst, der Dienst des Frachtenrechners und Ermittlungsbeamten. Die Güterabfertigung war damals eine große Dienststelle, viele Stückgutkunden und einige Anschließer im Bahnhof Vegesack mit beträchtlichen Güteraufkommen. Dazu natürlich noch der Wagenübergang an die NE Farge-Vegesack, über die ich früher schon berichtet habe.
Selbstverständlich gehörte es damals zum Kundendienst, daß die Güterabfertigung auch am Sonnabend geöffnet war und Kunden Stückgut aufliefern und abholen konnten. Weiterhin wurden auch Anschließer bedient, denn auch am Sonnabend kam ein Güterzug vom Bremer Rbf nach Vegesack.

Nun, ich schweife schon wieder ab - jetzt aber zurück zum Beginn.
Sonnabend-Dienst in der Güterabfertigung - das bedeutete für meinen Vater, daß er alle 14 Tage das auch machen musste. Sonnabends war etwas weniger los, so daß die Dienststelle dann nur mit einem Beamten im Büro und dem Lademeister sowie einem Ladearbeiter und 2 Rangierern besetzt war.
Wir (mein Bruder, der war etwas älter als ich, und ich) durften ab und an mal mit zum Sonnabenddienst und das war spannend: wir mussten schon früh aufstehen - 05:30 h, dann ein hastiges Frühstück, rauf auf's Fahrrad und nach Bremen-Walle (das war zu unserer Wohnung der nächstgelegene Haltepunkt des Vegesacker Vorortzuges). Dort das Fahrrad in einem "verwunschenen Keller" (nur für Beschäftigte der DB!!!!) abstellen, zum Schalter (ja, den gab es damals noch in Walle! Besetzt war er mit einem sehr netten Kriegsversehrten), dort wurde meinem Bruder und mir eine Personalfahrkarte verkauft - mein Vater hatte ja die Dienst-Freifahrt - und wir stiegen zusammen die Treppe zum Bahnsteig hinauf.
Ein Blick auf die Uhr, noch 5 min Zeit, also ein Blick auf die Gleise aus Richtung Hauptbahnhof zum Rangierbahnhof hin, dort kam gerade ein langer Güterzug langsam zum Rangierbahnhof angerollt. Damals noch nicht überwiegend Container sondern G- und K-/Rs-Waggons. Aus dem Rangierbahnhof kam, bespannt mit einer V 90 ein Güterzug mit Stahlrohren. Mein Vater meinte, der ginge in den Neustädter Hafen. Wir glaubten es ihm (später wusste ich auch, das er Recht hatte- die Bremer Lagerhaus-Gesellschaft hatte ein großes Röhrenlager für Exportrohre im Neustädter Hafen errichtet, der Pipelinebau boomte damals). Nun kam auch unser Zug an. Es war die "kurze" Vegesacker Einheit, bestehend aus einer E 41 mit 3 Silberlingen, für den Samstag-Verkehr reichte das aus. In Bremen Hbf endete diese Garnitur immer am Gleis 5a (kurzer Kopfbahnsteig) oder 5 Nord. Die Lok war übrigens immer in Richtung Vegesack, Richtung Süden führte immer der Steuerwagen - das ist auch heute noch so.
harfe
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Re: (k)eine (Klein)Bahngeschichte

Beitrag von harfe »

Wir stiegen ein und fuhren am ausgedehnten Gleisfeld des Rbf vorbei über Oslebshausen, Bremen-Burg, Bremen-Lesum, Bremen-St. Magnus, Bremen-Schönebeck in den Bahnhof Bremen-Vegesack ein.
Dort stiegen wir aus und gingen zunächst zur Fahrkartenausgabe. Beim dortigen Kassenverwalter holte mein Vater einige Papiere sowie eine Geldtasche, dann gingen wir am Bahnsteig entlang in Richtung der Prellböcke, überquerten die Gleise auf dem Dienstweg und betraten die Räume der Güterabfertigung von der Kopfseite aus.
Mein Vater schloß zunächst die Büroräume auf, öffnete die Aktenschränke, den Tresor (der enthielt übrigens überwiegend Seife, eine Flasche "innerliches Desinfektionsmittel" - ich wusste damals noch nicht, wofür-. - und eine Blech-Bonbondose mit Münzgeld sowie einige offensichtlich wichtige Unterlagen und das "Kassenbuch"), der Tresorschlüssel war übrigens im Leitz-Ordner mit der Aufschrift "VK II - Oldenburg" versteckt - und richtete seinen Arbeitsplatz am Schreibtisch im Hinterzimmer ein.
Dann ging er in die Güterhalle, um dort die Kollegen zu begrüßen.
Auch hier gab es ein, kleineres Büro, das den Lademeister und seine Gehilfen beherbergte. Der Lademeister war ein netter, freundlicher Mann, etwas jünger als mein Vater, und die beiden tauschten ein paar privat-dienstliche Worte aus.
Mein Vater erhielt vom Lademeister ein paar EDS-Umschläge mit Frachtbriefen, die er nun berechnen musste (das waren die Frachtbriefe für die Stückgut-Empfangssendungen des Tages).
Wir durften uns inzwischen in der Güterhalle tummeln. Was gab es dort nicht alles zu sehen: eine große, elektrische Waage für Stückgut - der Lademeister hatte ein Herz für Kinder und wog zunächst einmal meinen Bruder und dann mich. Wir waren stolz!
Dann zeigte er uns den Gabelstapler und wir durften mit ihm zusammen einmal längs durch den langen Güterschuppen fahren! Was für ein Erlebnis.
Schließlich stellte uns der Lademeister den Rangierern vor, die auch gerade im kleinen Büro des Lademeisters ihr Frühstück einnahmen und sagte uns dann: ihr habt heute Glück - ihr dürft nachher mit der Lok mitfahren!
Das war natürlich was für uns!
"Nachher" bedeutete gegen 09:00 h - es war jetzt gerade mal acht Uhr - soooo lange noch warten - das war eine harte Probe, aber mein Bruder und ich waren geduldig. Irgendwann zeigte die Uhr in der Güterhalle auch neun und die beiden Rangierer machten sich auf und nahmen uns mit. An der Gleisseite der Güterhalle stand die Bahnhofs-Köf des Bahnhofes Bremen-Vegesack, fast ein bischen verschämt halb versteckt unter der Rampe. Wir kletterten zu ihr hinab und einer der beiden Männer kuppelte den hinter der Lok stehenden Güterwagen ab, der andere startete die Lok. Los ging es, zunächst bis zur Sprechsäule. Ein kurzer Wortwechsel mit "Vf" - das war der Fahrdienstleiter, dann ging es weiter, Richtung Grohn-Schönebeck in das Hauptgleis. Hinter einer Weiche wieder rückwärts und dann wieder vorwärts nach links in das Gelände der Dachpappenfabrik W.K. Bohlmann, dort waren 2 Waggons abzuziehen.
Die Waggons wurden aus dem Anschluß abgezogen, im Bahnhof umfahren und dann in ein Gleis parallel zum Güterschuppen Richtung Prellbock wieder abgestellt.
Dann fuhr die Köf wieder Richtung Schönebeck-Grohn in den Anschluß des großen Werkes der "Wandplattenfabrik" - heute Grohner Fliesen (existiert übrigens noch immer, jedoch kein Bahnaufkommen mehr). Dort waren ein paar Kesselwagen (heute weiß ich, daß es Ucs-Wagen sind) sowie 2 lange 2-achsige Schiebewandwagen abgeholt, in gleicher Weise umfahren und auf die beiden Wagen aus dem Anschluß Bohlmann gedrückt.
Das war's dann auch schon, aber immerhin haben die ganzen Manöver ca. 1 ½ Stunden gedauert. In der Zeit, wo wir unterwegs waren, fuhren 2 Personenzüge aus Richtung Hauptbahnhof in den Vegesacker Bahnhof ein und nach kurzer Zeit wieder hinaus.
harfe
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Registriert: Mi 14. Mai 2008, 17:22

Re: (k)eine (Klein)Bahngeschichte

Beitrag von harfe »

Die Fahrt auf der kleinen Köf war für uns Kinder schön und ist mir bis heute unvergesslich geblieben: es roch stark nach Diesel und vom Getriebe stiegen warme Luftströme und Öldünste nach oben. Der Motor machte einen Höllenlärm und die Sichtverhältnisse waren, für uns Kinder sowieso, nicht die besten. Besonders beeindruckt hatte mich damals der Umgang des "Lokführers" mit einem Fußpedal, heute weiß ich, daß es die Bremse war und daß man damit wirklich sehr gefühlvoll umgehen muß, ansonsten riskiert man blaue Flecke oder Hautabschürfungen.

Nun, wir fuhren wieder zurück an die Rampe der Güterabfertigung, bedankten uns artig und suchten wieder unseren Vater auf, um ihn von unseren Erlebnissen zu berichten.
Mein Vater war mittlerweile mit seiner "Büroarbeit" fertig und hatte offensichtlich nichts zu tun. Er hatte uns in der Zwischenzeit Kakao bereitet, den wir gerne tranken und dazu gab es dann die von zu Hause mitgebrachten Butterbrote mit frischer Gekochte (den Geschmack habe ich heute noch auf der Zunge - natürlich mit Knoblauch-).
Wir langweilten uns ein wenig und sahen aus dem Fenster zur Straßenseite hin. Dort war der Lademeister beschäftigt, der sich offensichtlich nicht langweilte: er polierte nämlich sein Auto mit "Autopudding", einer damals offensichtlich beliebten Autopolitur.
Mein Vater zeigte uns nun noch die "technische Ausstattung" seines Büros: die damals moderne "Adrema-Anlage", die halbautomatische Buchungsmaschine sowie eine Adler-Schreibmaschine, an der wir dann auch einige Phantasie-Briefe auf altem DB-Papier mit grauem (ja, wirklich, grau-grün.) DB-Keks schreiben durften.

Irgendwie verging auch die Zeit, mein Vater meinte dann irgendwann gegen 12:00 h "nun ist Schluß", ging an den Tresor, nahm dort eine Flasche heraus und ging mit ihr in das Büro des Lademeisters - wir sollten im Büro der Ga bleiben und dort "aufpassen".
Nach einiger Zeit kam mein Vater wieder, stellte die nun noch halb volle Flasche wieder in den Tresor, schloß alle Schränke ab, nahm wieder die Geldtasche und einige Unterlagen sowie seine Dienst-Aktentasche und uns in die Hand, wir verließen die Ga und gingen über die Gleise wieder auf den Bahnsteig. Dort erwartete uns schon der Kassenverwalter der Fka. Er nahm von meinem Vater die Geldtasche und die Unterlagen an sich - die beiden unterhielten sich noch kurz und wir gingen zum mittlerweile eingelaufenen Zug aus Richtung Hauptbahnhof, der nach kurzer Wendezeit wieder zurück dorthin fuhr.
Und welche Freude, von der Lok stieg der meinem Vater und uns bekannte "Onkel" Johann Strube - ein Ostfriese, der aber schon lange in Bremen wohnte und seinerzeit meine Mutter mit meinem Vater bekannt machte - aber das ist wieder eine andere Geschichte. Johann Strube war leidenschaftlicher Pfeifenraucher, in seiner Gegenwart duftete es ständig stark nach seinem angenehmen, süßlichen Pfeifentabak. Die Pfeife wurde nie kalt- Er war ein begnadeter Geschichtenerzähler und wusste zu allem und jedem was zu sagen. Lokführer war er mit Begeisterung, aber auch immer ein wenig ein Schnacker, und später erfuhr ich dann auch, daß man nicht immer alles glauben durfte, was er erzählte. Im "Hauptberuf" war er eigentlich "Bezirksinspektor" bei der DEVK und fuhr Lokführer war er eigentlich nur noch für die Krankenversicherung. (so hieß es damals).
Er war der Lokführer dieses Zuges und selbstverständlich durften wir mit ihm im Steuerwagen des Zuges bis nach Bremen-Walle mitfahren. Das war die Krönung eines schönen Sonnabends!
Man muß jedoch dazu sagen, daß die damaligen Steuerwagen noch mit sogenannten "Hasenkabinen" - andere Lokführer sagten mir später auch, die hießen bei denen "Eichmann-Zellen" oder "Gumminasen" - ausgestattet waren, die wenig Platz und wenig Sicht boten - zumindestens für die Gäste im Führerstand. Aber es war trotzdem ein Erlebnis, dem Lokführer bei seiner Tätigkeit zuzusehen. In St. Magnus, Burg und Oslebshausen durften mein Bruder und ich dann auch nach links aus dem Fenster schauen und dem Lokführer mitteilen, wenn der Zugführer "Abfahrt" gab.

Die Fahrt zurück nach Walle war dann unspektakulär, wir stiegen dort aus, verabschiedeten uns vom netten Lokführer, holten unsere Fahrräder wieder aus dem Kellergewölbe und fuhren zurück nach Hause.

Dies ist ein Tatsachenbericht aus dem Jahr 1972, aufgeschrieben nach persönlichen Erlebnissen. Die beschriebenen, mit Namen versehenen Personen sind heute schon längst tot.
Aber alles waren Originale - sie waren Eisenbahner mit Herz und Leidenschaft. Sie wussten, wann ihre Arbeit gefordert war und wussten auch, daß sie, wenn die dienstlichen Tätigkeiten es zuließen, mal fünfe gerade sein lassen konnten. (Autowäsche, "Schluck" zum Feierabend, Mitnahme von Fahrgästen auf der Lok).
So habe ich die Eisenbahn in meiner Kindheit kennen- und lieben gelernt.
Ich trauere ihr heute noch nach.
Kirsten
Beiträge: 13
Registriert: Di 13. Mai 2008, 09:59

Re: (k)eine (Klein)Bahngeschichte

Beitrag von Kirsten »

Hallo!
Was soll ich noch sagen, ich habe die Geschichte verschlungen, wie immer. Danke und bitte mehr davon.
lg Kirsten
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